In der Schweiz marschieren nicht tausende Menschen, rechtsradikale Parolen gröhlend, durch die Strassen, wie in Chemnitz. Bei uns ist der vorhandene Rechtspopulismus subtiler und durch die SVP gut verpackt unter dem Deckmantel der freien Meinungsäusserung. Ob zu teurer Strom, ob verstopfte Strassen, ob Klimawandel.... es gibt nur eine Antwort der SVP auf diese Fragen: Schuld ist immer die Zuwanderung!
"Tja, die Handys der Flüchtlinge sind wasserdicht, saufen nicht ab usw. Komischerweise verlieren aber alle ihre Ausweise und Pässe während dem Böötlen über das Meer..." oder "An die Wand stellen und ihnen eine saubere 9-mm-Impfung verpassen!!!!". Diese Äusserungen stammen von einem Gemeindeschreiber und stellvertretenden Leiter eines Sozialamtes. Geäussert hat er sie auf seinem privaten Facebook-Account. Der Boswiler Gemeindeammann Michael Weber (SVP) verteidigte seinen Mitarbeitenden denn auch vorschnell. "Herr Wicki (der Gemeindeschreiber) nutzt die Kanäle, die zur Verfügung stehen und auch fleissig gelesen werden, um seine persönliche Meinung zu äussern."
Wicki fiel schon früher im Jahr mit einer umstrittenen Äusserung auf. Als die Gemeinde Boswil eine Liste mit Personen veröffentlichte, die Sozialhilfe beziehen, sagte er, es sei viel zu aufwändig, diese Namen zu schwärzen."
Auf sozialen Netzwerken und in Leserkommentaren verteidigten Hunderte die Aussagen des Gemeindeschreibers.
SP-Nationalrat Cédric Wermuth, aufgewachsen in Boswil, hat denn eine Online-Petition lanciert, in der er den Gemeinderat Boswil aufforderte, den Gemeindeschreiber zu entlassen. Diese Petition habe ich gerne unterstützt. Die SP Boswil reichte dann ein Strafanzeige gegen Daniel Wicki ein. Der Boswiler Gemeinderat entschied, den Gemeindeschreiber vorerst zu beurlauben. "Sollte Daniel Wicki durch die Strafanzeige schuldig gesprochen werden, werde er entlassen. Sollte er nicht schuldig gesprochen werden, griffen die Massnahmen des Gemeinderates" so Vizeammann Liliane Kappeler.
Nationalrat Andreas Glarner verteidigte die Aussagen von Daniel Wicki. Aber was will man erwarten von einem Politiker, der auf seiner Homepage schreibt: " Sozialisten, Pseudo-Bürgerliche à la GLP, Gewerkschafter und Sozialarbeiter aller Fakultäten, Gutmenschen, Kulturschaffende und Weitere ruinieren die Schweiz - und die Netten schauen zu...".
Die Liste der europäischen Länder, in denen ein "Aufschwung der Rechtspopulisten" zu verzeichnen ist, ist lang. Dazu gehören zum Beispiel Deutschland, Österreich, Frankreich, Dänemark, Schweden, Niederlande, Polen und Ungarn. Damir Skenderovic, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Fribourg kommt mit seiner Analyse zum Schluss, dass die Schweizerische Volkspartei (SVP) sowohl in der Forschungsliteratur als auch in den internationalen Medien als Lehrbeispiel für den Aufschwung des Rechtspopulismus in Europa gilt. Ein Umstand der in der Schweiz oft vergessen werde.
Die "Nationale Aktion", die "Vigilance" und die "Republikanische Bewegung" hätten sich in den 60er Jahren als kompromisslose Verteidiger des "Volkswillens" inszeniert und dabei mit Tabubrüchen sowie Provokationen begonnen, die politischen Debatten zu polarisieren. Ausserdem hätten sie Migration und Ausländerpolitik zu zentralen Themen ihrer identitätspolitischen Agenda gemacht, so der Professor. Mit dieser doppelten Stossrichtung begründeten sie den neuen Rechtspopulismus der Nachkriegszeit, dessen Exponenten sich symbolisch und politisch vom historischen Faschismus abgrenzten, um angesichts des breiten antifaschistischen und antirassistischen Konsens in den europäischen Gesellschaften nach 1945 überhaupt Fuss fassen zu können, analyisiert Skenderovic.
Von dem Schrecken des Nationalsozialismus weniger betroffen als andere europäische Länder entwickelte sich die Schweiz als das Geburtsland des europäischen Rechtspopulismus. Und mit fast einem drittel Wähleranteil war die rechtspopulistische SVP, 2015 bei den Nationalratswahlen die stärkste Partei. Mit der Ablehnung der Selbstbestimmungsinitiative SBI verlor die Partei zwar an Glanz und Ansehen, aber das Wahljahr 2019 wird entscheiden, welche Rolle die Rechtspopulisten künftig in der Schweiz spielen werden.
Soziologin Franziska Schutzbach meinte in einem Interview mit dem Tagesanzeiger: "Frauke Petry sagte zum Beispiel, es gehe ihr nicht um rechts oder links. Damit wird behauptet, man stehe über dem Links-rechts-Schema. So erscheinen Rechtspopulisten als mittig, unideologisch und vernünftig. Als diejenigen, die angeblich jenseits von Extremen mit gesundem Menschenverstand agieren. Es wird auch gesagt, es gehe nicht ums Rechthaben, sondern um einen Beitrag zur Meinungsvielfalt. In der Forschung wird diese Strategie Äquidistanz genannt. Und auf diese Weise können auch Konservative oder Liberale sich diesen Positionen zuwenden, denn es ist ja nicht rechts, sondern Meinungsvielfalt. Rechtspopulismus schafft mit dieser Unschärfe erfolgreich Querverbindungen in die bürgerliche Mitte, macht überhaupt den extremistischen Kern vieler Positionen unkenntlich".
Und vergessen wir nicht, der ehemalige Justizminister und rechtspopulistische Allvater der SVP, Christoph Blocher, war es der den Auftrag des Parlamentes, Nazisymbole in der Schweiz zu verbieten, nicht umsetzte. Schlussendlich entschied der Ständerat 2011, dass Nazisymbole in der Schweiz nicht verboten werden. "Heil Hitler", das Hakenkreuz und der Hitlergruss sind in der Schweiz also weiterhin legal.
Und so ist zu befürchten, dass Rechtspoulisten und Rechtsextreme sich unter dem Deckmantel der freien Meinungsäusserung unter der "Sünneli-Flagge" der SVP vereinen.
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