"Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen." "Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind".
Diese Zeilen stammen nicht aus einer politischen Kampagne, sie stammen aus der Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999.
"Es fehlen Chancen, nicht Anreize", meint der Zürcher Stadtrat Raphael Golta in einem Gastkommentar in der NZZ. Er weist auf die Armutsfalle hin, mit der wir es in der Sozialhilfe zu tun haben. Menschen ohne Berufsabschluss. Menschen die zu gesund für die IV, aber zu krank für eine reguläre Beschäftigung sind.
Ein Teil meiner Klientinnen und Klienten bezieht Sozialhilfe oder Asylfürsorge. Ich berate diese Menschen als Job Coach in Einzelberatungen und zwei mal pro Woche in einem Bewerbungsatelier. Ich erlebe diese Menschen so gar nicht als die verschrieenen Sozialschmarotzer, ich sehe ihre Verzweiflung und ihre Bemühungen sich wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Und wie Stadtrat Raphael Golta erwähnt, ja, es fehlen die Chancen für diese Menschen.
Bevor mir wieder, wie bei anderen Veröffentlichungen, vorgeworfen wird, dass ich mich ja nur für die Beibehaltung der jetzigen Sozialhilfe einsetze, weil ich Teil der Sozialindustrie sei, möchte ich erwähnen, dass ich auch Menschen berate welche im Erwerbsleben sind (arbeitsrechtliche Beratungen) oder Bezügerinnen und Bezüger von Arbeitslosenentschädigung. Und die Mehrheit der Klientinnen und Klienten sind Schweizerinnen und Schweizer. Ich kassiere vom Staat auch nicht horrende Beratungshonorare. Meine 70% Anstellung wird zu 25% von der römisch-katholischen Kirche, zu 25% von der reformiert-evangelischen Kirche und zu 20% von drei Stiftungen finanziert. Die Beratung ist für die Klientinnen und Klienten kostenlos.
Dass nun im Wahljahr 2019 auf den Schwächsten herumgeritten wird, das halte ich für unwürdig für eines der reichsten Länder der Welt. Dass nun in einigen Kantonen über eine Kürzung von 30% des Grundbedarfes nachgedacht wird, das könnte bei einer Umsetzung, letztendlich ein ganzes System zum Einsturz bringen. Dabei sprechen wir von 3% von den gesamten Sozialausgaben und von 3.3% der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.
"Der Wohlfahrtsstaat als Gesamtes ist in Frage gestellt... Die Sozialhilfe hat ihre ursprüngliche Funktion als Überbrückungshilfe und als Hilfe zur Selbsthilfe verloren. Reformen unumgänglich, Fehlanreize beseitigen, Sozialhilfe darf keine Hängematte sein. Die SKOS rechne ideologisch motiviert mit zu hohen Ansätzen", so erläutert die SVP auf ihrer Homepage. Sie verlangen ein Umdenken im Sozialwesen: Milizprinzip vor Professionalisierung, Verbindlichkeit der SKOS Richtlinien muss aus allen kantonalen Sozialhilfegesetzen gestrichen werden. Das ganze unter dem Titel "Stopp der Sozialhilfe-Lüge!". Das ganze Geklüngel ist wohl auf dem Mist der Arbeitsgruppe rund um Alt-Nationalrat Ulrich Schlüer entstanden.
Neben mir stappeln sich die umfassenden "Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe", der "Sozialbericht des Kantons Zürich", das "Positionspapier zur künftigen Ausgestaltung der Sozialpolitik" der ExpertInnengruppe der SAGW, die "Berechnung und Beurteilung des Grundbedarfes in den SKOS-Richtlinien". Hunderte von Seiten... Das alles liest sich recht trocken und hat so gar nichts mit einer Sozialhilfe-Lüge und ideologisch geprägter falscher Rechnerei zu tun. Das alles sind Fakten von Experten und riecht doch deutlich mehr nach Professionalität als die schlagkräftigen aber nichtssagenden Worte der Arbeitsgruppe der SVP. Die Empfehlungen der schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS, die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren SODK und der Städteinitiative Sozialpolitik sollen wir einfach so ignorieren, weil Herr Schlüer und seine Kameradinnen und Kameraden das mit so viel Fachkompetenz (sarkastisch) erklären?
Einfach mal die Sozialhilfe um 30% kürzen, dann werden die Leute sich schon wieder selber in den Arbeitsmarkt integrieren. Wie von Zauberhand und magisch! Ein Konzept wie man die Leute denn wieder integrieren möchte, das vermisse ich in den Zeilen der SVP. Ah ja, sowas braucht es ja nicht, das passiert ja dann magisch, wenn man den Leuten den Grundbedarf um 30% kürzt! Wie von Zauberhand. Arbeitsintegration ist ja Teil der überbordenden Sozialindustrie, welche man auch gleich noch ein bisschen zusammenkürzen möchte.
Lieber Herr Schlüer, liebe SVP - über Sparmassnahmen nachzudenken, ist ja schön und gut, aber bitte nicht auf dem Rücken der Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft!
Gerne empfehle ich den Gastkommentar von Stadtrat Raphael Golta: