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Ü50 sind oft gefangen im Behördendschungel

Dass die Invalidenversicherung IV auf Kosten der Sozialhilfe spart, hat kürzlich in der Presse hohe Wellen geschlagen. Nicht das erste mal war in der Presse zu lesen, dass zahlreiche Personen Sozialhilfe beziehen, weil sie zu krank für den heutigen Arbeitsmarkt sind, aber zu gesund für eine IV Rente. In der nächsten IV-Revision will der Bundesrat Massnahmen ergreifen, um die Invalidität von psychisch kranken Menschen zu vermeiden und Eingliederung zu fördern. Besonders betroffen vom «Abstieg» in die Sozialhilfe sind Menschen über 50. Das sind oft Menschen welche durch eine Krankheit oder einen Unfall ihre Stelle verlieren und sich ihrer Rechte nicht bewusst sind. Krankentaggeld- oder Unfallversicherungen, IV, Arbeitslosenkasse und RAV, es folgt ein Marathon durch den Behördendschungel. Die verfügten Entscheidungen und Massnahmen werden in einem Juristendeutsch verfasst, das nicht adressatengerecht formuliert ist. Einerseits in einer schwierigen Lebenssituation, geschwächt durch eine Krankheit oder einen Unfall, fühlen sich diese Menschen hoffnungslos einer Behördenwillkür ausgesetzt. Es gibt zahlreiche Beratungs- und Fachstellen, aber oft weisen die zuständigen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter ihre Klientschaft nicht darauf hin, wo sie sich Hilfe holen können.

 

Im Kanton Aargau wurde im April dieses Jahr ein neues Angebot für Stellensuchende, Arbeitgebende und Gemeinden ins Leben gerufen. Es heisst «Kooperation Arbeitsmarkt» und sei schweizweit eine einzigartige Zusammenarbeit der Invaliden- und der Arbeitslosenversicherung. Das Angebot habe zum Ziel, mehr stellensuchende Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, insbesondere auch Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Die «Kooperation Arbeitsmarkt» gehe aus dem Pilotprojekt «Pforte Arbeitsmarkt» hervor.

 

Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO hat im März 2019 die Studie «Schnittstellen bei der Arbeitsmarktintegration aus Sicht der ALV» veröffentlicht, welche durch das Unternehmen ECOPLAN durchgeführt wurde. ECOPLAN ist spezialisiert auf Forschung und Beratung in Wirtschaft und Politik. In der Kurzfassung werden die wichtigsten Akteure im Bereich der Arbeitsintegration und ihre Schnittstellen zu der ALV aufgezeigt: Sozialhilfe, IV, Integrationsförderung von Migrantinnen und Migranten, Berufsberatung, Berufsbildung, Krankentaggeld- und Unfallversicherung. Am Schluss über siebzig seitigen Studie wird die Schlussfolgerung gezogen, dass die verschiedenen Partner sehr unterschiedliche rechtliche Grundlagen, organisatorische Voraussetzungen und Möglichkeiten bei der Eingliederung von stellensuchenden Personen haben. In den Kantonen bestünden unterschiedlichste Strukturen innerhalb und zwischen den involvierten Institutionen. Diese unterschiedlichen Voraussetzungen beeinflussten das Selbstverständnis und die tägliche Arbeit mit den Stellensuchenden massgeblich. Es seien grosse Anstrengungen zur Sensibilisierung notwendig. Der Einsatz von spezialisierten Beratenden mit dem notwendigen Wissen und der Erfahrung sie diesbezüglich hilfreich.

 

Die Problematik der Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure wurde also erkannt. Es ist für die Betroffenen nicht unwesentlich wer der Akteur ist. Ein Sozialamt in einer Stadt, oder einer kleiner Gemeinde, SUVA oder private Kranken- oder Unfalltaggeldversicherung, IV oder RAV. All das hat einen grossen Einfluss auf das Ergebnis.

 

Die folgenden Beispiele sollen aufzeigen, was es heisst der Behördenmaschinerie ausgesetzt zu sein:

 

Fall 1: Koch, Mitte 50, Schweizer, im Kanton Aargau wohnhaft:

 

Nach vielen Jahren in der Gastronomie, war eine Tätigkeit als Koch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich. Wichtig war, wie dies die Arbeitslosenversicherung und die IV einschätzten. Die medizinischen Abklärungen und das Hin-und-Her mit den Behörden, bis eine Massnahme ergriffen wurde, dauerte über 3 Jahre! In dieser langen Zeit war es ein nervaufreibender Kampf mit den entsprechenden Behörden. Der Invaliditätsgrad und die Vermittelbarkeit hat in solchen Fällen eine grosse Auswirkung auf Taggelder oder Rente. Die mehrseitigen in Juristendeutsch verfassten Schreiben und Verfügungen sind für einen Laien nicht verständlich. Die Arbeitslosenkasse hat eine Vermittlungsfähigkeit während den IV Abklärungen auf 100% eingestuft. Dazu war sie verpflichtet, man nennt das Vorleistungspflicht. Die IV hatte dann entschieden, dass kein Anspruch auf IV-Rente besteht, da der Invaliditätsgrad nur 28% und der Grad für eine Rente mindestens 40% sein muss. Dieser Entscheid war dann auch wesentlich für die Arbeitslosenkasse, welche die Vermittelbarkeit von 100% auf 72% reduzierte. Das heisst, das Arbeitslosentaggeld wurde von einem Tag auf den anderen basierend auf 100% Vermittelbarkeit auf 72% reduziert. In diesem Fall machte das eine Differenz von mehr als 1000 Franken aus. Von einem Tag auf den anderen anstatt ca. 4'500.-- nur noch 3'300.--. Und besonders bitter in der finanziellen Misere, die Arbeitslosenkasse verlangte auch rückwirkend die Differenz von 28% zurück. Ursprünglich mal ein Nettolohn von ca. 5'700.-- muss der Betroffene nun plötzlich mit einem Einkommen von ca. 3'300.-- leben. Ergänzungsleistungen (EL) konnte er nicht beantragen, auf diese hat nur Anspruch wer eine AHV- oder IV-Rente bezieht. Es wurde eine Umschulung geprüft und gutgeheissen. Ist die Ausübung der bisherigen beruflichen Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr oder nur noch in beschränktem Rahmen möglich, können aber die Erwerbsmöglichkeiten mit einer anderen, besser angepassten Tätigkeit verbessert werden, muss eine Umschulung geprüft werden. Während der Wartezeit auf den Entscheid ob eine Umschulung bewilligt wird, hatte der Koch nur Anspruch auf Arbeitslosentaggelder weil die Arbeitslosenkasse eine Vermittlungsfähigkeit von mindestens 20% einschätzte. Sie entschied, dass er zwar nicht mehr im angestammten Beruf arbeiten könne, aber zum Beispiel Fahrdienste ohne schweres Heben im Rahmen von 20% ausüben könne. Hätte die Arbeitslosenkasse eine Vermittlungsfähigkeit von unter 20% eingeschätzt, wäre der Gang zum Sozialamt unabdingbar gewesen. Von der ALK und IV in die Sozialhilfe abgeschoben! In diesem Fall gab es glücklicherweise eine positive Wende, zwar keine IV-Rente, aber IV-Taggelder zu 80% vom versicherten Lohn. Also anstatt 3'300.—Arbeitslosenentschädigung nun ca. 4'800.--, plus Spesen und Essensentschädigung. Anstatt bis zu seiner Pensionierung in der Sozialhilfe zu «verrotten» (denn Eingliederungsmassnahmen werden bei der Sozialhilfe für Ü50 selten bewilligt), hat der ehemalige Koch nun die Möglichkeit bis zu seiner Pensionierung in einer neuen Tätigkeit nochmals Geld in die Pensionskasse und AHV einzuzahlen.

 

Fazit: 3 Jahre nervaufreibender Kampf mit den Behörden, Existenzängste, drohende Abschiebung in die Sozialhilfe

 

Fall 2: Account Manager eines grossen Versicherungskonzerns,  Ende 50, Schweizer mit Migrationshintergrund, im Kanton Zürich wohnhaft:

 

Der Vater von drei kleinen Kinder ist mit einer viel jüngeren Frau verheiratet, welche die Kinderbetreuung aus gesundheitlichen Gründen nur bedingt wahrnehmen kann. Er selber als Account Manager eines Versicherungskonzerns oft geschäftlich auf Reisen und hohe Präsenzzeiten. Die private und berufliche Belastung führte zu schweren Depressionen und einem Burnout. Es erfolgte eine 100% Krankschreibung. Der Manager hatte in seiner Stelle ein überdurchschnittlich hohes Einkommen und profitierte dadurch auch von einem hohen Krankentaggeld. Kulturell bedingt sieht sich der Manager als Familienoberhaupt. Seine gesundheitliche Situation verletzte auch seinen Stolz. Dass er plötzlich nicht mehr seine Verantwortung als Familienoberhaupt und Ernährer wahrnehmen konnte, dass kränkte ihn. Nach wenigen Wochen erklärte er sich selber entgegen den Ratschlägen der behandelnden Psychiaterin für gesund und wollte wieder eine Kaderstelle in der Konzernwelt antreten. Die Psychiaterin schickte ihn zu einem Job Coach einer Beratungsstelle. Dieser hatte zwar Verständnis für das kulturell bedingte Verständnis seiner Rolle in der Gesellschaft und der Familie, riet aber dringend von einer vorschnellen Wiederaufnahme der Berufstätigkeit ab. Die Krankentaggeldversicherung meldete den Manager bei der IV an. Es gab ein erstes Abklärungsgespräch bei der IV und die Empfehlung der zuständigen Sachbearbeiterin war klar. Eine Rückkehr in die angestammte Tätigkeit ist nicht angebracht und ein Belastungstraining im Rahmen der IV-Abklärungen bei einem für Integrationsmassnahmen spezialisiertes Unternehmen wurde empfohlen. Es fand reger Austausch zwischen der Sachbearbeiterin der IV, der behandelnden Psychiaterin und dem Job Coach der Fachstelle statt. Schlussendich konnte der Manager überzeugt werden, sich auf diese Massnahme einzulassen.

 

Fazit: Hier funktionierte die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren optimal. Das aber auch nur, weil die Akteure sich darauf einliessen und gewillt waren.

 

Falls 3: Gleisbauer, Ende 50, EU-Bürger, im Kanton Zürich wohnhaft

 

Der Gleisbauer hatte einen schweren Unfall, verlor dabei ein Auge und Nervenstränge nicht mehr funktionstüchtig. Der Gleisbauer kam in jungen Jahren in die Schweiz und arbeitete seither als Gleisbauer für ein grosses Schweizer Unternehmen. Weiterbildungen besuchte er keine. Mit Computern kann er nicht umgehen, die Deutschkenntnisse trotz des langen Aufenthaltes in der Schweiz auf einem schlechten Level (wohl A2). Die SUVA verfügte eine Invalidenrente und eine Integritätsentschädigung. Sie schätzten die Erwerbsfähigkeit auf 35% ein. Die Rente wurde denn auch basierend auf 35% entrichtet. Der Grad der Erwerbsunfähigkeit ergab sich aus einem Vergleich der möglichen Einkommen mit und ohne Behinderung. Die SUVA-Rente entschädigte nur die reinen Unfallfolgen, nicht aber krankheitsbedingte Beeinträchtigung. Die führte dazu, dass auch die Krankentaggeldversicherung involviert war. Ein ärztlicher Bericht kam zum Schluss, dass eine Tätigkeit für Einäugige in vollem Umfang zumutbar sei. Sie kam zum Schluss dass eine Tätigkeit im kaufmännischen Bereich oder in der medizinischen Massage möglich wäre. Mit 59, mangelnden Sprach- und Computerkenntnissen. Da also eine Vermittlungsfähigkeit bestand, kam ein weiterer Akteur ins Spiel. Die Arbeitslosenkasse und das RAV. Die zuständige Pesonalberaterin des RAV schickte den Gleisbauer zur Beratung zu einem Job Coach. Dieser war ziemlich ratlos wie er den Mann wieder in den Arbeitsmarkt bringen sollte. Er kam deutlich zum Schluss, dass der Gleisbauer zwar die Bewerbungen (in diesem Fall reduzierte das RAV die Bewerbungspflicht auf vier Bewerbungen pro Monat) abschicken soll, dass es sich aber um eine Alibiübung handelt und letztlich nur damit die Arbeitslosengelder fliessen und bis zum Entscheid der IV. Die IV verfügte eine Rente und EL wurde gutgeheissen.

 

Fazit: Die Akteure arbeiteten so gut wie nicht zusammen. Die von verschiedenen Akteuren in Auftrag gegebenen medizinischen Gutachten wiedersprachen sich. Die Entscheide wirkten recht willkürlich.

 

Fall 4: Küchenhilfe, Ende 50, Drittstaatsangehörige, im Kanton Zürich wohnhaft

 

Mutter von vier erwachsenen Kindern, nach der Scheidung bezog sie Sozialhilfe, seit 34 Jahren in der Schweiz wohnhaft. Die Frau fand eine Anstellung als Küchenhilfe und konnte sich damit aus der Sozialhilfe «befreien». Die Arbeitgebende musste das Arbeitsverhältnis aber von 100% auf 50% reduzieren. Das Einkommen reichte selbst mit dem Arbeitslosengeld nicht aus und sie war gezwungen wieder Sozialhilfe zu beantragen. Die zuständige Personalberaterin des RAV schickte die Analphabetin zu einem Job Coach. Die Frau ist nun auf Stellensuche. Aber ein unangenehmer zusätzlicher Akteur kam ins Spiel! Das Migrationsamt! Dieses drohte der 34 Jahre in der Schweiz lebenden Frau an, dass sie weggewiesen würde, wenn sie nicht innert nützlicher Frist ihren Lebensunterhalt ohne Sozialhilfe bestreiten könne. Das harsche Schreiben forderte auf alle Suchbemühungen für eine Stelle zu dokumentieren. Die Frau geriet in Panik und meldete sich beim Sozialamt ab. Sie lebt nun unter dem Existenzminimum.

 

Fazit: Behörden nehmen keine Rücksicht auf die individuelle Situation. Insbesondere das Migrationsamt setzt auf Repression, setzt Stellensuchende und Sozialhilfebeziehende unter Druck. Der Druck soll die Stellensuche fördern, bewirkt aber meist das Gegenteil.

 

Erhöhung des Rentenalters?

 

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Lebenserwartung wie auch die Anzahl gesunder Lebensjahre erhöht. In den nächsten Jahrzenten ist zusätzlich eine markante demografische Alterung der Bevölkerung zu erwarten. Das Verhältnis zwischen Erwerbsbevölkerung und Rentenbevölkerung wird sich zugunsten letzterer verschieben, wodurch auch das Altersvorsorgesystem zunehmend beansprucht wird.

 

Diese Entwicklung mag zwar für eine Erhöhung des Rentenalters sprechen und scheint schon fast eine logische Schlussfolgerung der Bevölkerungsentwicklung zu sein. Damit diese Rechnung aber aufgeht, müssten denn die Schweizer*innen tatsächlich auch bis 66 oder 67 arbeiten. Und das scheint doch recht illusorisch. Bund, Kantone und Sozialpartner verwenden den Begriff "ältere Arbeitnehmende" ab dem Alter 50. Das Zürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit sieht einen erhöhten Betreuungsbedarf bereits ab dem Alter 45.

 

Zwar ist die Arbeitslosenquote der über 50 Jährigen vergleichbar mit der anderer Altersgruppen, aber die Langzeitarbeitslosigkeit und die Aussteuerung ist massiv höher. Und die Statistiken zeigen, dass diese Entwicklung massiv zunimmt.

 

Die besondere Situation von Stellensuchenden im Alter 50plus

 

Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO veröffentlichte einen Bericht über ältere Arbeitslose (50+). Der Bericht umfasst 22 Seiten und ich erlaube mir diesen zusammenzufassen und am Schluss in ungekürzter Länge zu veröffentlichen. Der umfassende Bericht, stellt die Thematik meiner Ansicht nach sehr übersichtlich dar.

 

In den letzten Jahrzehnten hat sich zum einen die Lebenserwartung wie auch die Anzahl gesunder Lebensjahre erhöht. Zum anderen führten verlängerte Ausbildungszeiten und eine Zunahme von Frühpensionierungen zu einer Verkürzung der durchschnittlichen Lebensarbeitszeit. In den nächsten Jahrzehnten ist zusätzlich eine markante demografische Alterung der Bevölkerung zu erwarten. Das Verhältnis Erwerbsbevölkerung und Rentenbevölkerung wird sich zugunsten letzterer verschieben, wodurch auch das Altersvorsorgesystem zunehmend beansprucht wird.

 

Für die Arbeitsmarktentwicklung ist in diesem Zusammenhang die Tatsache zentral, dass sich der Anteil der über 50-jährigen Arbeitskräfte im Verhältnis zu den Jüngeren stetig erhöht. Diese Entwicklung rückt die Stellung älterer Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt stärker in den Mittelpunkt. Der wirtschaftliche Strukturwandel wird sich künftig weniger über einen Generationenwechsel, also durch den Eintritt junger Erwachsener ins Berufsleben, vollziehen können. Vielmehr werden vermehrt Erwerbstätige mittleren und höheren Alters sich an neue strukturelle Anforderungen anpassen müssen. Dementsprechend wird der Bedarf an lebenslangem Lernen und folglich die Nachfrage nach Möglichkeiten der Weiterbildung auch in späten Phasen des Erwerbslebens zunehmen. Nicht zu vernachlässigen ist ebenso der zunehmende Bedarf an flexiblen Arbeitsplatzbedingungen (z.B. Telearbeit, Job-Sharing, flexible Arbeitszeit, Bürogestaltung, usw.).

 

Neben der demografischen Entwicklung ist die zweite Lebenshälfte von weiteren Wandlungsprozessen betroffen. Die erste Nachkriegsgeneration (Babyboom-Generation) ist die erste welche erfolgreich gelernt hat, bis ins spätere Erwachsenenalter "jugendlich" zu bleiben. Demografisch beobachtet man zwar einen Alterungsprozess, soziokulturell hat sich die zweite Lebenshälfte jedoch klar "verjüngt". Daraus ergibt sich eine tendenziell zunehmende Dynamik von späten  Karriere- und Lebensformen (z.B. Zweitstudium mit 40, Berufswechsel mit 50, Auswanderung mit 60), welche auch auf dem Arbeitsmarkt zum Ausdruck kommt.

 

Vor diesen Hintergründen ist eine verbesserte Integration und Förderung der über 50-jährigen Arbeitskräfte eine entscheidende Aufgabe. Eine optimale Erwerbsintegration dieser Gruppe verringert einerseits den Druck auf das System der sozialen Absicherung. Andererseits kann durch eine verstärkte Mobilisierung und Kompetenzerhaltung ältere Arbeitskräfte der negative Effekt der schrumpfenden Zahl junger Arbeitskräfte reduziert werden. Insbesondere angesichts eines drohenden Fachkräftemangels, wäre eine stärkere Nutzung des vorhandenen Potenzials bei Älteren angezeigt. Schätzungen aus dem Jahr 2009 ergaben ein Arbeitskräftepotenzial von Erwerbslosen sowie nicht- und teilzeiterwerbstätigen Personen im Alter von 55 - 64 Jahren von 420 000 Vollzeitarbeitskräften. Könnte dieses theoretische Potential zu 20 Prozent genutzt werden, würde der Schweizer Wirtschaft zusätzlich rund 84 000 Vollzeitarbeitskräfte zur Verfügung stehen.

 

Situation der älteren Arbeitnehmenden am Schweizer Arbeitsmarkt

 

In der Schweiz sind ältere Arbeitnehmende grundsätzlich gut in den Arbeitsmarkt integriert und befinden sich häufiger in relativ stabilen Arbeitsverhältnissen. Die Erwerbsquote der älteren Personen (50-64 Jahre) lag 2017 bei 80.7 Prozent. Die Arbeitsmarktbeteiligung ist somit sehr hoch und zählt zu den höchsten im internationalen Vergleich. Verliert eine Person über 50 Jahre jedoch ihre Arbeitsstelle, fällt es ihr vergleichsweise schwer eine neue Anstellung zu finden. Die Stellensuche der über 50-Jährigen dauert ca. 1.5 Mal länger als die gesamtschweizerische Durchschnittsdauer und mehr als doppelt so lang wie diejenige der 15- bis 24-jährigen Stellensuchenden. Dementsprechend haben über 50-jährige eine höhere Langzeitarbeitslosenquote als die anderen Altersgruppen. Der Anteil Langzeitarbeitsloser innerhalb der Gruppe der Älteren (50+) Arbeitslosen liegt bei 27.2 Prozent, bei den 25- bis 49-Jährigen sind es dagegen nur 14.3 Prozent; die Gruppe der älteren Arbeitslosen ist damit deutlich überproportional von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen.

 

Gründe für die Arbeitslosigkeit

 

Bei konjunkturellen Schwankungen reagiert die Arbeitslosenquote der Älteren weniger empfindlich als jene der Jüngeren. Bei Wirtschaftseinbrüchen steigt ihre Arbeitslosenquote weniger stark an, sie verringert sich jedoch im Aufschwung wiederum ebenfalls langsamer als bei jüngeren Alterskategorien. Der Grund liegt darin, dass ältere Arbeitnehmende sich seltener in befristeten Arbeitsverhältnissen befinden als jüngere. Die Gefahr, bei einem Stellenabbau freigestellt zu werden, ist entsprechend geringer. Wobei auch Stellenabbaumassnahmen durch vorzeitige Pensionierungen abgefedert werden.

 

Oftmals scheinen ältere Arbeitssuchende Opfer von Vorurteilen seitens der Rekrutierenden bezüglich Gesundheit, Flexibilität, Produktivität, Lernfähigkeit oder Motivation zu werden. Es geht dabei vergessen, dass finanzielle, soziale und gesundheitliche Probleme sowie persönliche Konflikte meist erst aufgrund einer langanhaltenden Arbeitslosigkeit entstehen.

 

Die Altersgutschriften belaufen sich bei 25- bis 34-jährigen auf 7 Prozent des Lohnes, ab 45 Jahren jedoch 15 Prozent des Lohnes und ab 55 Jahren 18 Prozent des Lohnes. Da die Beiträge an die 2. Säule i.d.R. zur Hälfte vom Arbeitgeber übernommen werden, fallen die Lohnkosten älterer Personen höher aus als bei Jüngeren mit dem gleichen Lohn. Diese Tatsache verleitet zur Annahme, dass dadurch die Beschäftigungschancen älterer Stellensuchende sinken. Es konnte jedoch bislang kein empirischer Nachweis für diese Annahme erbracht werden.

 

Ein Grund, welcher ältere Arbeitssuchende benachteiligt gegenüber jüngeren sind Bildungs- und Weiterbildungsdefizite. Die Ausbildung der über 50-jährigen liegt häufig schon mehrere Jahre zurück. Selbst wenn die Betroffenen lange bei der gleichen Firma angestellt waren und sich durch Praxiserfahrung und Weiterbildung zusätzliche Fähigkeiten angeeignet haben, sind diese meist sehr firmenspezifisch. An einer neuen Arbeitsstelle ist dieses Wissen nicht immer relevant. Der rasante technologische Umbruch der letzten Dekaden hat betreffend Ausbildung und Anwenderkenntnissen die Ausgangslage am Arbeitsmarkt für ältere Arbeitslose zusätzlich erschwert.

 

Der Aufbau des firmenspezifischen Wissens geht ferner mit einer zunehmenden Berufsidentifikation einher, wodurch die berufliche Mobilitätsbereitschaft gehemmt wird. Ebenfalls verringert sich vielfach die örtliche Mobilitätsbereitschaft mit zunehmendem Alter. Je nach familiärer Situation, sozialen Netzwerken und Grundbesitz sind Ältere stark an ihrem Wohnort verwurzelt.

 

Ein weiteres Hindernis für ältere Stellensuchenden können auch zu hohe Lohnvorstellungen sein.

 

Massnahmen der Arbeitslosenversicherung (ALV)

  • Einarbeitungszuschüsse (EAZ)P
  • Pendler- und Wochenaufenthaltsbeiträge (PEWO
  •  Programme zur vorübergehenden Beschäftigung (PVB)
  •  Förderung der selbständigen Erwerbstätigkeit (FsE)
  •  Kurse
  • Rechtliche Grundlagen

 

Arbeitslose Personen über 50 Jahren sind nicht die Zielgruppe einer spezifischen Integrationsstrategie. Diese Alterskategorie ist jedoch einem hohen Langzeitarbeitslosigkeitsrisiko ausgesetzt, daher wurde für sie ein spezielles Entschädigungs- /Taggeldsystem gesetzlich verankert. Über 55-Jährige erhalten bei einer Beitragszeit von mindestens 22 Monaten Anspruch auf maximal 520 Taggelder. Unter bestimmten Bedingungen erhalten sie sogar Anspruch auf zusätzliche Taggelder, die bis zum ordentlichen AHV-Rentenbezug fortbestehen können.

 

Versicherte, die älter als 50 Jahre sind, können auch nach einer Aussteuerung für eine gewisse Zeit an Bildungs- und Beschäftigungsmassnahmen teilnehmen.

 

Im Übrigen gelten für ältere Personen die gleichen gesetzlichen Grundlagen aus dem Bundesgesetz und der Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentschädigung (AVIG/AVIV) wie bei den anderen Altersklassen.

 

Nationale Demo am 19. September 2019 in Bern auf dem Waisenhausplatz

 

Das fordert das überparteiliche Demokomitee, angeführt von der Gruppe Arbeitslosigkeit 50+:

 

Für immer auf dem Abstellgleis?

Für Tausende von älteren Bürgern ist dieser Albtraum Realität! -

30'110 Personen zwischen 55 und 64 waren 2016 auf Sozialhilfe angewiesen. Das sind 50 Prozent mehr als 2011.

Nur jeder siebte (!) unter ihnen findet irgendwann noch Arbeit*.

 

Dies bedeutet, dass sechs von sieben Betroffenen bis zum Pensionsalter auf dem Existenzminimum leben müssen.

Sie bekommen nur das Nötigste, um zu existieren. Sie haben ein Leben lang gekrampft und in die Sozialversicherungen einbezahlt, nur um dann ein Dasein am Rande der Gesellschaft zu fristen und vom Steuerzahler unterstützt zu werden.

 

Dies ist wahrlich ein Armutszeugnis für unseren Sozialstaat!

Wozu wählen wir, die Bürger des reichsten Landes der Welt, unsere Volksvertreter und bezahlen deren grosszügige Entschädigungen, wenn sie ein solch dringendes und beschämendes Problem nicht lösen können? Ist eine würdige finanzielle und soziale Unterstützung wirklich zu viel verlangt?

 

#FördernStattFordern

Mehr fördern, weniger fordern -

Zwei Pünktchen machen den Unterschied

 

Natürlich ist Verwaltung ein wichtiger Teil der sozialen Unterstützung.

Und jeder, der Hilfe erhält, muss gewisse Regeln befolgen.

Mindestens ebenso wichtig ist aber die Förderung der individuellen Ressourcen jedes Einzelnen. Entsprechende persönliche Unterstützung fehlt bisher weitgehend. Dabei ist gerade sie für die Rückkehr ins Arbeitsleben matchentscheidend.

Es braucht dringend die Tatkraft aller Akteure des Sozialwesens, der Politik und der Wirtschaft, den Willen zur Innovation, nach dem Motto: Andere Zeiten, andere Lösungen.

 

Nachhaltige Lösungen müssen her.

Und dafür sollen, wo nötig, finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Auch die nicht betroffenen Bürger können sich via Freiwilligenarbeit für die älteren Langzeitstellenlosen einsetzen.

Und: Es braucht Jobs!

Auch Arbeitgebern, welche die erfahrenen Profis einstellen möchten, sollten vom Staat keine Steine in den Weg gelegt werden.

Der lineare Beitragssatz bei der Pensionskasse wäre schon längst überfällig. Workfair50+ hat eine entsprechende Initiative lanciert und sammelt Unterschriften.**

 

Was Stellenlose 50+ NICHT brauchen:

  • Bevormundung
  • Erziehung
  • Almosen
  • Nutzlose Pflichtkurse und Beschäftigungsprogramme
  • 15 Franken-Jobs in Sozialfirmen

 

Was sie BRAUCHEN:

  • Anerkennung ihrer Kompetenzen und Erfahrungen
  • Wertschätzung
  • Bezahlte Weiterbildung
  • Engagiertes Coaching
  • Unterstützung für ihre Projekte
  • Faire Arbeitgeber
  • Eine nachhaltige und gerechte Sozialpolitik

Kommt an die bewilligte Demo und lernt willensstarke mutige Betroffene kennen, die sich seit Längerem tatkräftig dafür einsetzen, dass es endlich vorwärts geht. Mit den aktuellen vollmundigen Wahlversprechen ist es nicht getan.

Auch die noch nicht betroffenen Angestellten über 50 leben oft mit der Angst vor drohendem Stellenverlust, dauerhafter Verarmung und gar Obdachlosigkeit.

 

Ein derart berechtigtes Anliegen verdient die Unterstützung eines jeden Bürgers.

Unterstützt eure Väter, Mütter, Brüder, Schwester, Grossväter und Grossmütter!

Jeden könnte es eines Tages treffen.

Eveline Siegenthaler

 

Kontakt Organisationskomitee:

Franziska Ruth Hulliger

fraenzi-bruno_hulliger@bluewin.ch

https://arbeitslos50plus.wixsite.com/franziskahulliger

 

Anmerkungen

 

*)

https://www.beobachter.ch/arbeit/arbeitslosigkeit/arbeitslos-mit-55-letzter-ausweg-ausland

 

**)

Eidgenössische Volksinitiative Berufliche Vorsorge

http://www.workfair50plus.ch/initiative