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Führt Perspektivenwechsel zu einer gesellschaftlichen Veränderung?

Vor ein paar Tagen erhielt ich von der ZIID (Zürcher Institut für interreligiösen Dialog - Judentum - Christentum - Islam - Voneinander und miteinander lernen) das Programm Herbst / Winter 2020 / 2021. Herbst und Winter? Vor wenigen Tagen habe ich es endlich geschafft meine Winterkleider im Keller einzumotten, und nun steht bereits der nächste Winter vor der Türe? Keine Bange, so pessimistisch bin ich nicht eingestellt. Ich erhoffe mir trotz den Corona-Sicherheitsmassnahmen erst mal ein paar tolle Sommertage. 

 

Besonders angesprochen hat mich das Begleitschreiben der Geschäftsleiterin des ZIID und mich zu diesem Blogbeitrag animiert. 

 

Das Schreiben begann mit einem Zitat von Christian Morgenstern: "Wir brauchen nicht so fortzuleben, wie wir gestern gelebt haben. Machen wir uns von dieser Anschauung los, und tausend Möglichkeiten laden uns zu neuem Leben ein."

 

Weiter stand da: "Die Welt stand in der ersten Hälfte dieses Jahres Kopf: Wir mussten unseren Lebensradius drastisch einschränken und uns liebgewordenen Gewohnheiten entsagen. Vielleicht genau deshalb begegnen wir der Welt plötzlich aus einer ganz ungewohnten Perspektive? Ein solcher (erzwungener) Perspektivenwechsel kann aufrütteln. Wir können mit Widerstand und Ablehnung darauf reagieren. Oder ihn aber als Chance begreifen, uns auf das Ungewohnte einzulassen."

 

"Der Perspektivenwechsel könnte zu einer gesellschaftlichen Veränderung führen, in der die entscheidende Frage lauten könnte: Wie schaffen wir eine Gesellschaft, die die freie Entfaltung aller ermöglicht? Wenn die Freiheit der anderen nicht die Beschränkung, sondern die Voraussetzung für meine Freiheit ist?"

 

Als im März der Bundesrat den Lockdown beschloss, stellte dies von einem Tag auf den anderen meinen beruflichen Alltag auf den Kopf. Homeoffice, das kannte ich von früheren Tätigkeiten, aber bei 10 bis 12 Beratungsgesprächen pro Woche bei meiner jetzigen Stelle, konnte ich mir diese Option schlecht vorstellen. Nun musste ich plötzlich von einem Moment auf den anderen auf Homeoffice umstellen. Unfreiwillig! Die Umstände zwangen mich dazu. Aus meinen vier Wänden hielt ich nun mit Online- und Telefonberatungen den Kontakt mit meinen Klientinnen und Klienten aufrecht. Plötzlich erreichten mich die Anliegen in meinen privaten vier Wänden. Mein Privat- und Berufsleben vermischten sich für mich ungewöhnlich. Glücklicherweise betraf mich die Krise nicht finanziell, ich hatte weiterhin 100 Prozent meines Gehalts und meine üblichen Ausgaben sanken. Ich bekam in den Telefonberatungen jeden Tag mit, dass dies ein Privileg war, das andere leider nicht hatten. Meine Klientinnen und Klienten traf der Lockdown mit voller Wucht  und oft war es meine Aufgabe Möglichkeiten aufzuzeigen um von Kurzarbeit zu profitieren, oder andere Entschädigungen zu beanspruchen. Leider auch des öfteren, musste ich bei der Anmeldung für wirtschaftliche Sozialhilfe behilflich sein. 

 

Auch mein Privatleben durchlief grosse Veränderungen. Üblicherweise habe ich ein gesellschaftlich recht aktives Leben. Meine Agenda wird von zahlreichen Terminen dirigiert. Ich schätze das. Nun war da gähnende Leere. Die Abende wurden zum Netflixmarathon.

 

Zu welchen Veränderungen hat der Perspektivenwechsel in meinem Leben geführt? Zu welchen gesellschaftlichen Veränderungen wird er führen? 

 

Persönlich konnte ich von der Entschleunigung profitieren, konnte mich von Ballast trennen und mir neue Ziele setzen. Aber was heisst das für die Gesellschaft?

 

"Wir haben als Gesellschaft eine ausserordentliche Lage gemeistert", steht da weiter in dem Schreiben der ZIID. Und ja, das haben wir! Was am 16. März begann, hat uns einiges aufgezeigt. Zum Beispiel welche Berufe systemrelevant sind. Aber auch was mit Solidaritätsaktionen zu schaffen ist. Und auch klar die Erkenntnis, dass eine solche Krise nur gemeinsam zu meistern ist, und dass wir auf staatliche Massnahmen angewiesen sind. 

 

Welche Veränderungen bringt der Perspektivenwechsel für die Gesellschaft? Eine interessante Frage, welche ich nicht jetzt und heute beantworten kann. Aber ich trage viel Hoffnung in mir, dass wir alle von dem Perspektivenwechsel langfristig profitieren.